Für mehr an eigene Nasen fassen

Toleranz ist so einfach einzufordern. Und offensichtlich so viel schwerer zu leben. Etwas Selbstreflexion gefällig? Aber ich fange anders an…

Plötzliche Euphorie zwischen Gleichgesinnten die gut tut. Austausch von Tipps, Informationen, Zuspruch. Gibt es irgendetwas was man daran nicht gut finden kann?
Ja, wenn es Pegida heißt, Fakten leugnet und zu kollektivem Hass auf Menschen aufruft, die irgendwie ein klein bisschen anders sind.

Aber wenn es um eine faktenbasierte Haltung zum Wohle des Planeten oder auch des Individuums geht? Ohne jemand anderem zu schaden.

Anscheinend. Doch es fällt mir verdammt schwer es zu verstehen. Insbesondere wenn diese Gemeinschaft sich lediglich auf Gemeinsamkeiten konzentriert. Niemand ausgeschlossen wird und auch nicht zu missionieren versucht.

Und doch begegnet mir immer und immer wieder extreme Ablehnung, der ich irritiert, wenn nicht gar fassungslos gegenüberstehe. Zwei Beispiele möchte ich herausgreifen, weil sie gerade präsent sind. Doch das begegnet mir gerade in sehr, sehr vielen Varianten.

Beispiel „veggie“

Nachdem wir uns in meiner Familie darauf geeinigt haben, dass wir Massentierhaltung doof finden und deshalb einen deutlich reduzierten und ökologisch vertretbaren Fleischkonsum anstreben, dauerte es nur kurze Zeit bis meine Tochter mit 9 Jahren eigenständig beschloss lieber gleich richtig Vegetarier zu sein. Ich finde ihre Konsequenz beeindruckend, respektiere ihre Entscheidung, die sie seit mittlerweile 7 Jahren durchzieht und unterstütze sie gelegentlich bei Erklärungen gegenüber anderen. Denn zwangsläufig sammelt man dazu einiges an Wissen und damit auch Verständnis an. In unserem Freundes- und Bekanntenkreis tummeln sich alle Ausprägungen von Veganer bis Fleischesser. Und ich gestehe, mit einer durchdachten und informierten Haltung zu dem Thema, ist es relativ schwer kommentarlos zu beobachten, wie sich die gut betuchten und gebildeten Bekannten das vormarinierte BilligSteak auf den Grill packen. Ich halte dennoch meinen Mund und lege meine Zucchini mit Schafskäse daneben. Gelebter Respekt für die Selbstverantwortung. Muss ja jeder selbst wissen. So ist zumindest mein Gedanke dazu.

Wirklich traurig ist allerdings, dass ich das andersrum wohl nicht erwarten kann. Denn da kommen durchaus abfällige Kommentare, wenn nicht sogar Angriffe. Und ständig und überall jede Menge ausgesprochen respektlose Witzchen über die bekloppten Veganer. WARUM? Ich kenne keinen einzigen missionierenden Veganer oder Vegetarier. (Womit ich nicht abstreite, dass es die gibt. Ich persönlich kenne nur keinen). Werde aber permanent mit Abfälligkeiten konfrontiert. Wer urteilt da über wen? Und wer verhält sich korrekter? Ich toleriere den für mich durchaus falschen Konsum von Biligfleisch. Der ja auch lautstark eingefordert wird. Wo bleibt die Toleranz für die anderen?

Beispiel „healthy lifestyle“

Große Aufregung in der Nähszene. Da wird üblicherweise ausgesprochen wertschätzend und unterstützend miteinander umgegangen. Doch plötzlich machte dort ein Buch die Runde das Wellen schlug und gleich mehrere Teilnehmerinnen nehmen in beeindruckender Weise die Kilos ab mit denen sie schon lange unglücklich waren und verändern ihre Silhouette und Kleidergröße beträchtlich. Um sich mit sich selbst wohl zu fühlen und fit zu sein. Mit deutlichem Applaus und ansteckender Begeisterung/Motivation. Und das alles ohne irgendwen auszuschließen, kein (mir bekanntes) Wort der Verachtung gegenüber anders Denkenden. Durchaus jedoch über die eigenen veränderten Sichtweisen. Gibt es daran irgendwas zu bemängeln?

Erstaunlicherweise ja, denn plötzlich machten sich Stimmen breit, wie unangenehm und irritierend das ist, wenn jemand dafür gefeiert wird, dass sie etwas schafft, woran sonst viele scheitern. Dass der Feminismus verraten wird, weil jetzt doch nur alle dem gesellschaftlichen Druck der NormModelgröße nachgeben. Ähm, nein! Von Modelmaßen sind da alle weit weg. Nur auf dem Weg zu einem gesunden und vor allem fitten Normalgewicht. Und einer Minimierung von gesundheitlichen Einschränkungen. Doch das wird weitestgehend ignoriert. Anstatt diese Entwicklung für einen persönlich unter schlicht uninteressant abzuhaken, da man mit seiner Figur zufrieden und glücklich ist, wird zum Angriff geblasen. Von Verrat geredet. WARUM um alles in der Welt!?

Kritik sagt oft mehr über den Kritiker aus als über den Kritisierten.

Wenn ich in meiner TA-Ausbildung etwas gelernt habe, dann das an diesem Spruch sehr viel wahres ist. Und mittlerweile habe ich es tief verinnerlicht, das wann immer mich etwas aufregt, ich erstmal in mich hineinhöre. Warum ist das so. Was bringt das in mir zum klingen. Oder toben. Was sagt das über mich aus? Ist das mein Gerechtigkeitssinn, mein Minderwertigkeitskomplex, mein inneres traumatisiertes Kind, eine nicht überwundene Verletzung,… was auch immer. Warum beschäftigt mich etwas so sehr? Das ist manchmal mühsame Innenschau – aber sie ist immer wertvoll. Manchmal sagt es mir etwas über meine tief verankerten Werte, die ich so erhalten und verteidigen mag, dann reagiere ich entsprechend. Und manchmal merke ich, dass es meine eigene Unsicherheit ist, ich mich angegriffen fühle, wo kein Angriff vorliegt. Was mir hilft dem anderen wieder urteilsfreier gegenüber zu treten. Wieder zuzuhören und womöglich zu verstehen. Aber auch mich besser erklären zu können.

Vielleicht wäre diese Welt eine bessere, wenn wir das alle etwas öfter üben würden. Dieses erst in sich hineinhören, bevor man zum Gegenangriff ausholt. Denn vielleicht war da gar kein Angriff. Zumindest nicht im Außen. Sondern irgendwo im Innern eine sonst ungehörte Stimme, die sich da wiedergefunden hat und aufbegehrt. Und dann kann man sich mit dieser Stimme ganz in Ruhe auseinandersetzen und mit sich selbst verhandeln. Ich tue das inzwischen regelmäßig. Es hilft, auch wenn es etwas anstrengend sein kann. Es entstresst und macht schlußendlich deutlich gelassener. Und man kann aufräumen, mit sich selbst.

Denn es gibt noch ein anderes Sprichwort

Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.

Dazu braucht es Toleranz. Vielleicht sollten wir die viel öfter als Vorschuss geben, dann ist es um ein vielfaches glaubwürdiger sie auch für sich einzufordern. Und dann dürfen wir alle so sein wie wir sind. Und die anderen so sein lassen wie sie sind. Also bitte alle mal an die eigene Nase packen ob wir leben, was wir da immer einfordern. Bitte. Danke.

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